Eine Debatte, so alt wie das forstliche Versuchswesen selbst – mit den Herausforderungen des Klimawandels gelangt sie nun zu neuer Dringlichkeit. Prof. Dr. Schröder im Gespräch mit Dirk Riestenpatt.
Wenn es um die Anpassung des deutschen Waldes an den Klimawandel geht, setzen viele ihre Hoffnung in alternative Baumarten, auch Klimabäume genannt. Dabei handelt es sich um seltene bzw. forstlich kaum beachtete heimische oder nicht-heimische Baumarten, die aufgrund ihrer Herkunft (z.B. aus dem Mittelmeerraum) besser an zukünftige klimatische Verhältnisse angepasst sind.
Ein Forschungsprojekt auf 60 Hektar unserer Fläche könnte unter der Leitung von Prof. Dr. Jens Schröder wichtige Erkenntnisse zu alternativen Baumarten liefern. Von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern werden über den millionenschweren „Waldklimafonds“ der Bundesregierung bereits große Forschungsprojekte zum Thema gefördert. In Brandenburg hält die Kontroverse zum Thema jedoch an – weshalb unser Projekt derzeit in der Schwebe steht.
(Mehr Informationen zur Auswahl der Baumarten, dem Versuchsaufbau und möglichen Forschungsfragen des geplanten Projekts finden Sie in Interview 1 und 2 sowie unserem Video mit Prof. Dr. Schröder.)
Prof. Dr. Jens Schröder
...forscht an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNEE) sowie als Leiter des Fachbereiches Waldressourcenmanagement im Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE) zu Waldökologie, Waldbaugrundlagen und Klimawandelanpassung. In der Debatte um Eignung und Einsatz von Klimabäumen stehen für ihn die sich bietenden Chancen im Mittelpunkt.
Dirk Riestenpatt
... ist Vorsitzender des FSC Deutschland, ein von Umweltverbänden getragener Verein mit dem Ziel nachhaltiger Holznutzung. Zusätzlich ist er verantwortlich für Betriebssteuerung, Waldbau und FSC-Zertifizierung der Berliner Forsten, die sehr unter dem Klimawandel leiden: Laut dem Waldzustandsbericht 2020 sind nur sieben Prozent der 28.000 Hektar gesund. Klimabäumen als Maßnahme gegen diese Entwicklungen steht er kritisch gegenüber.
Schröder: Der Klimawandel nimmt an Fahrt auf und wir haben nicht genug Zeit, um ausschließlich auf natürliche Anpassungsprozesse zu warten. Aus der Perspektive der Forschung gelten fremdländische Baumarten in diesem Zusammenhang als große Bereicherung. Welche Punkte sprechen für Sie dagegen, diese Baumarten anzubauen?
Riestenpatt: Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass fremdländische Baumarten mehr negative als positive Effekte nach sich ziehen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg standen große Aufforstungsflächen zur Verfügung, auf denen man notgedrungen mit fremdländischen Baumarten experimentiert hat, z.B. Rot-Eiche, Traubenkirsche, aber auch Nadelholzarten wie die europäische und japanische Lärche oder die Douglasie. Die Traubenkirsche beispielsweise stellte sich auf unseren Standorten als sehr invasiv und konkurrenzstark heraus, sie besiedelt viele Standorte und lässt keine heimische Bodenvegetation zu. Aufgrund dessen wurde in der Berliner Waldbaurichtlinie von 1990 festgelegt, ausschließlich mit heimischen Baumarten zu arbeiten. Zusätzlich kamen in den 2000er Jahren noch die Zertifizierungen, das Naturland- und das FSC- Siegel, hinzu. Ersteres lehnt fremdländische Baumarten strikt ab, FSC lässt einen Anteil von 20% zu. Unser Mischwaldprogramm – also quasi unsere landeseigene Förderung für beschleunigten Waldumbau – sieht vor, aktiv gegen fremdländische Arten vorzugehen. Wir roden die entsprechenden Stellen und besetzen die entstandene Nische mit heimischen Laubholzarten.
Schröder: Ist die Berliner Politik denn auch davon überzeugt, dass die natürlichen Artenzusammensetzungen mit der Geschwindigkeit schritthalten können?
Riestenpatt: Ich glaube, da überwiegt die Zuversicht. Meine auch, ehrlich gesagt. Die Frage, ob man mit den heimischen Baumarten für die Zukunft gerüstet ist, ist ja bei den nicht- heimischen Baumarten genauso berechtigt. Die Frage ist: Wer hat die besseren Argumente? Wenn man – durch einen genetischen Flaschenhals – fremdländische Baumarten einführt, bekommt man ja ein begrenztes genetisches Spektrum, egal wie breit man versucht es zu streuen. Es sind ja auch nur wenige Individuen im Vergleich zur Anzahl der Bäume, die im Wald stehen. Die Prognose darüber, wie sich diese Baumarten in 10, 50, 100 Jahren entwickeln werden, ist daher mit sehr vielen Fragezeichen behaftet. Wenn ich auf der anderen Seite hier Baumarten habe, von denen ich zumindest weiß, dass sie schon 12.000 Jahre Waldgeschichte überstanden haben – dann schafft das bei mir etwas mehr Vertrauen. Es gibt immer wieder neue Untersuchungen über die Anpassungsfähigkeit, die berühmte Epigenetik; mit der Veränderung von z.B. bestimmten klimatischen oder standörtlichen Verhältnissen werden veränderte Eigenschaften an die Nachkommen weitergegeben. Ich glaube, dass da ein erhebliches Anpassungspotential drinsteckt.
„Ich glaube, dass da ein erhebliches Anpassungspotential drinsteckt.“
Und ich glaube auch, dass ein wesentlicher Teil der Probleme die wir haben nicht unbedingt mit der Genetik der Baumarten zusammenhängt, sondern mit der Struktur
des Waldes, auf die wir schauen. Wenn ich nach Brandenburg gucke und da 60-70% reine Kiefernbestände auf der Fläche habe...
Schröder: Es ist deutlich weniger geworden inzwischen.
Riestenpatt: Es ist weniger geworden, ja. Doch das – die Zusammensetzung des Waldes, die Monokultur – ist das allergrößte Problem, was den Fortbestand dieser Bestände betrifft. Jetzt nicht mit Baumarten zu operieren, deren Verhalten ich hier ungefähr einschätzen kann, sondern auch noch Fremdländische dazu zu holen – das ist für mich eigentlich eine Erhöhung des Risikos und keine Verringerung. Unsere Aufgabe ist ganz klar, den Hebel umzulegen und stabile Waldökosysteme zu schaffen. Wenn ich etwas mit öffentlichen Mitteln fördern will, dann würde ich das ganz klar diesem Ziel unterordnen.
Schröder: Wir haben jetzt viel von Risiken gesprochen die es gibt, mit diesen Baumarten zu experimentieren, ich sehe aber auch viele Chancen. Für mich spielt das gesammelte Erfahrungswissen eine wichtige Rolle, das es in der angewandten forstlichen Forschung ja auch gibt – durch das Versuchswesen, das seit den 1880er Jahren betrieben wird. Die reine Orientierung auf Wirtschaftlichkeit haben wir da längst hinter uns gelassen, bei diesen Versuchen sind wir auch auf andere Parameter aus. Bei einigen wenigen Baumarten kann man sagen: anbauwürdig. Es gibt Risiken, die Traubenkirsche zum Beispiel war ja schon Thema. Deswegen macht man sich Gedanken um die Klassifizierung der Risiken: Zum Thema Invasivität beispielsweise gibt es viel Literatur, auf die man sich stützen kann.
“Für mich spielt das gesammelte Erfahrungswissen eine wichtige Rolle“
Wenn wir jetzt außerhalb der Berliner Forsten schauen, die als Stadtwald vorrangig eine Erholungsfunktion erfüllen sollen: In anderen Eigentumsverhältnissen verfolgt man zu einem wichtigen Teil auch wirtschaftliche Ziele und möchte schneller Ergebnisse sehen, auch auf ungünstigeren Standorten. In Oegeln hätten wir die Chance, unter kontrollierten Bedingungen zu neuen Erkenntnissen zu kommen – Erkenntnisse, die für ein breites Spektrum an Möglichkeiten sehr hilfreich sein könnten. Zu diesen Möglichkeiten zählt auch, Holz als Kohlenstoffspeicher und Ressource zu sehen, die in der lokalen Wirtschaft verkauft werden könnte. Auch das ist ein legitimes Ziel, nach dem man die Baumarten beurteilt. Die Frage nach dem Reinbestand stellt sich für uns übrigens auch nicht, die waldbaulichen Richtlinien in Brandenburg gehen generell in Richtung gemischter Bestände.
Riestenpatt: Zu Ihrer Aussage, man möchte schneller zu Ergebnissen kommen – Sie kennen ja die Untersuchungen von Falk Stähr, die die hohe Vitalität und Überlebenswahrscheinlichkeit von Naturverjüngungspflanzen im Vergleich zu gepflanzten Pflanzen gezeigt hat. Treuenbrietzen ist dafür ein schönes Beispiel: Nach dem großflächigen Brand 2018 wurden Teile des Stadtwaldes nicht abgeräumt, sondern man arbeitete mit den toten Bäumen zum Teil weiter. Dort ist der Wald fast schon wieder grün von unten. Im Gegensatz zum Privatwald auf der anderen Seite, da hieß es: Komplettabräumung, Vollumbruch, Kiefern pflanzen.
Ich glaube wir sind gut beraten, wenn wir ein bisschen mehr auf die Aktionen der Natur warten, das ist sehr viel erfolgversprechender. Damit kommen wir zu einer Baumartenzusammensetzung, die auch die heimischen Arten begünstigt. Wir reden ja nicht nur über die Baumart an sich, sondern wir reden ja auch über die 300, 500, 1000 Arten, die noch mit dranhängen. Bei Eiche, Birke, Pappel usw. werden langfristig die Anwuchserfolge, glaube ich, überzeugender sein als das bei den nicht-heimischen Baumarten der Fall ist.
„Wenn die Leute, die diesen Anbau empfohlen haben, mir jetzt wieder Empfehlungen für Anbauten geben – haben die einen Vertrauensvorschuss?“
Ich glaube aber auch, dass man sich bei der Verwendung nichts diktieren lassen sollte als Waldbesitzer. Ich lasse mir doch von einem Werk nicht erzählen, dass mein Baum nicht dicker als 40 Zentimeter werden darf! Also im Ernst, oder? Es muss klar sein: Der Waldaufbau orientiert sich an den Zielen eines stabilen Waldes, der sofort und langfristig alle Ökosystemdienstleistungen in optimaler Art und Weise erbringen kann. Und wenn am Ende auch noch ein Stück Holz davon abfällt – was ich im Übrigen sehr begrüße, sonst wäre ich nicht FSC-Vorsitzender – dann ist es natürlich schön. Aber diese Ertragserwartungen sind total überdreht. Ein schönes Beispiel ist hier die Fichte, die in Deutschland jetzt auf 300.000 Hektar abgestorben ist. Ich könnte ja ganz provokant fragen: Wenn die Leute, die diesen Anbau empfohlen haben, mir jetzt wieder Empfehlungen für Anbauten geben – haben die einen Vertrauensvorschuss? Ich weiß es nicht.
Schröder: Wobei der Anbau ja zum Teil 80, 90 Jahre her ist. Der Großteil der Fichtenbestände, die abgestorben sind, kommt aus einer ganz anderen Zeit: Klimatisch, forstpolitisch, wirtschaftlich. Und ja, ich gebe Ihnen Recht, aufgrund der großflächigen Wiederaufforstung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Holzindustrie wie die Made im Speck gelebt. Brandenburg beispielsweise lebt von Beständen, die unter riesigen Anstrengungen damals hauptsächlich von Frauen aufgeforstet wurden. Diese Zeit wird nie wieder so kommen. Das sehe ich auch so!
“Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich wüsste: Wir haben noch zusätzliche Auswechselspieler, die aufs Feld können, wenn die ersten schlappmachen.“
Es ist mir noch wichtig, unsere Orientierung auf den Klimawandel zu erwähnen. Es ist einfach nicht geklärt, wie weit unsere gemischten Bestände aus heimischen Arten das alles mitgehen. Wie weit? Wo ist dann vielleicht doch ein Kipppunkt? Ich würde mich freuen, wenn es klappt. Aber ich würde mich noch sicherer fühlen, wenn ich wüsste: Wir haben noch zusätzliche Auswechselspieler, die aufs Feld können, wenn die ersten schlappmachen, wenn sich Strukturen auflösen oder Leistungen verlorengehen. Wenn wir auf Arten zurückgreifen können, in die wir begründet unsere Hoffnung setzen können! Unser Gedanke ist es, zu ergänzen und nicht zu ersetzen.
Riestenpatt: Ich meine, ich verstehe ihr Interesse – so intuitiv. Aber es überzeugt mich nicht. Mit neuen Baumarten kommen auch neue Schädlinge, das sieht man zum Beispiel bei der Douglasie. Ich glaube, es gab auch vom Borkenkäfer befallene Douglasien im letzten Sommer.
Schröder: Es wäre nicht verwunderlich. Die heimischen Schädlinge lernen die neue Art kennen und lieben. Und auch die vertrauten Destruenten kommen nach. Das funktioniert aber in beide Richtungen: Es kommen ja auch die nach, die z. B. für eine bessere Laubzersetzung bei der Rot-Eiche sorgen könnten. Ein bisschen Zeitversatz ist immer dabei und das System kann sich darauf einstellen – sowohl auf jene, die wir als negativ wahrnehmen, als auch auf die, die wir als positiv wahrnehmen.
Riestenpatt: Ein weiterer wichtiger Punkt für mich: Die Flächen, auf denen konsequent gejagt wird, sind extrem gut verjüngt mit allen heimischen Baumarten, die wir haben. Diese naturverjüngten Bestände sind in puncto Vitalität und Überlebensfähigkeit anderen Flächen meilenweit voraus. Da gibt's im Prinzip keine Schäden. Diese Art von Selektionsdruck, der auf diese Weise stattfindet – das sind alles offensichtlich hochwirksame Prozesse, die wir mit unserem Mechanismus aber komplett ausschließen.
“Es geht uns darum, zusätzliche Pfeile im Köcher zu haben.“
Schröder: Es besteht keinerlei Notwendigkeit, in vitale Systeme einzugreifen – es geht uns nur darum, zusätzliche Pfeile im Köcher zu haben. Fehlende Naturverjüngung kann neben der Jagd auch durch andere Faktoren bedingt sein, zum Beispiel durch schwache Standorte oder die Bodenvegetation. Und wenn die Zeit drängt und keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht: Da hätten wir dann was, das wir aus der Schublade ziehen können. In anderen Bundesländern gibt es abgestufte Entscheidungsschemata für den Einsatz von nicht-heimischen Baumarten. Erst ganz am Ende der Sequenz würde man auf der Fläche Klimabäume einsetzen, vorher würde man auf andere Herkünfte der heimischen Arten oder auf Baumarten aus benachbarten Regionen zurückgreifen.
Riestenpatt: Mal angenommen, ich würde total begeistert sein von einer oder zwei dieser Baumarten. Dann habe ich ja immer noch auf Brandenburg gesprochen eine Millionen Hektar Waldfläche vor mir, die möglicherweise gerade den Löffel abgibt. Was mache ich dann? Wie schaffe ich von jetzt auf gleich einen Baumartenwechsel auf 1 Mio. Hektar? Es gibt nicht genug personelle und materielle Ressourcen, um dieser Herausforderung zu begegnen.
Schröder: Auch dann ist es besser, statt 12, 13 Möglichkeiten zu haben! (beide lachen) Oder 14!
Das Gespräch fand im Berliner Landesforstamt in Köpenick statt, in das uns Herr Riestenpatt freundlicherweise eingeladen hatte. Wir bedanken uns herzlich für den konstruktiven Austausch!
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