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  • AutorenbildA. Rosenstock

„Was möchten wir den nächsten Generationen für einen Wald übergeben?“

Interview mit Hans-Jürgen Sturies, waldbaulicher Berater unseres Aufforstungsprojektes


Hans-Jürgen Sturies ist ausgebildeter Förster und war 30 Jahre lang Leiter der Forstabteilung der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Heute berät er Aufforstungsprojekte, unter anderem auch NfG. Besonders spannend: In den 80ern begleitete Herr Sturies ein Aufforstungsprojekt in Schleswig-Holstein auf 600 Hektar Fläche – über die Herausforderungen, die auf NfG zukommen könnten, kann er also aus jahrzehntelanger Erfahrung berichten.

Als Mitglied einer Kommission zu Saatgutzulassung beschäftigt er sich zudem seit Jahrzehnten mit Alternativbaumarten, die in beiden Projekten eine wichtige Rolle spielen.



Herr Sturies, erzählen Sie uns von dem riesigen Projekt das Sie damals begleitet haben: Was war der Anstoß für eine so großflächige Aufforstung?


Schleswig-Holstein war damals das waldärmste Bundesland überhaupt. Der damalige Ministerpräsident Uwe Barschel entschloss sich deshalb dazu, für mehr Wald zu sorgen. Ich hatte das Glück, dieses Projekt umsetzen zu dürfen. Im Verhältnis 60 zu 40 sollten innerhalb von 5 Jahren Laub- und Nadelbäume aufgeforstet werden, also ganz ähnlich wie jetzt bei NfG. Allerdings sind die Maßnahmen auf der Fläche von NfG um einiges vielfältiger: Blühstreifen, Feuchtbiotope, Sukzession auf Testflächen der HNE und LFE – in natürlichen Senken haben auch wir damals Teiche und Tümpel angelegt, haben Waldränder gestaltet. Allerdings in einem geringeren Umfang. Unser Fokus lag bei der Aufforstung.


"Ob es dann tatsächlich so kommt, wie man sich das vorstellt, steht auf einem ganz anderen Blatt"

Was hat sie damals an dem Projekt gereizt?

Ich hatte die Möglichkeit, auf einer sehr großen Fläche Wald zu planen und zu gestalten. Das tun Förster normalerweise nur auf kleinen Flächen, wenn es zum Beispiel Kalamitäten, also Schäden im Forst wie z.B. Sturmwurf oder Käferbefall gegeben hat oder eine Fläche endgenutzt wurde – nie auf einer Fläche von 600 Hektar. In der Regel wirtschaften wir Förster nur dort, wo unsere Vorfahren, unsere „Vorvorfahren“ Wald begründet haben. Hier hatte ich die Chance, Neuwald zu schaffen. Ob es dann tatsächlich so kommt, wie man sich das vorstellt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Schließlich bewirtschaften ja dann die kommenden Generationen die Fläche.


Wie genau sind Sie vorgegangen? Wurden auch damals zuerst Pflanzen angelegt, um die Bedingungen im Wald nachzuahmen und dann Stück für Stück die Setzlinge zu pflanzen?

Ganz genau: Ich habe damals mit Klee, Lupine und Roggen gearbeitet. Lupine und Klee sind Hülsenfrüchtler, sie können viel Stickstoff aus der Luft binden und im Boden anreichern, was die Bodenqualität deutlich verbessert. Roggen ist vorallem als Sonnen- und Frostschutz wichtig, bringt allerdings auch seine Nachteile mit sich: Seine Körner locken Mäuse an, die natürlich auch vor den Baumsetzlingen keinen Halt machen.

Dann begann Stück für Stück die Aufforstung. Viele Arten von damals werden auch jetzt bei NfG wieder angepflanzt werden: Stieleiche, Traubeneiche, Bergahorn, Hainbuche, Erle und viele mehr.


Haben Sie schon damals „Klimabäume“ in das Projekt integriert, so wie NfG durch die Kooperation mit der HNEE und dem LFE?

Die Zeit vor 35 Jahren war in vielerlei Hinsicht natürlich eine andere: Die Diskussion um die Auswirkungen des Klimawandels steckte gerade in den Anfängen. Doch mit der Großen Küstentanne und der Douglasie habe ich damals – aus forstwirtschaftlichen Gründen – auf Arten gesetzt, die heute durchaus als klimaresistente Bäume gelten, weshalb die Wissenschaft sie auf unseren Testflächen nun auch einsetzen und weiter erforschen möchte.


"...diese Baumarten [waren] damals nicht unumstritten"

Hatten die „innovativen“ Baumarten negative Auswirkungen auf das Waldökosystem?

Nein. Bei denen gilt dasselbe wie auch bei unseren heimischen Baumarten: Eigentlich ist jede Baumart dankbar, dass sie im Schutz ihrer Eltern, also unter einem Blätterdach, erwachsen kann. Die Freifläche ist nie ideal für einen Waldbestand. Darauf reagieren manche Baumarten empfindlicher als andere. Doch vor dem Hintergrund der Diskussion des Naturschutzes um einheimische Baumarten waren diese Baumarten damals nicht unumstritten. Man muss aber erkennen: Diese Arten wachsen bei uns sehr gut. Sie lassen sich – sofern man es nicht übertreibt und sie in Reinkultur anpflanzt, sondern sie mit anderen, heimischen Baumarten mischt – auch sehr gut vergesellschaften.


Ist ihr Bestand an Baumsetzlingen damals auf Anhieb gut angewachsen?

Tatsächlich haben es damals viele der jungen Bäume nicht geschafft, aber das lag nicht an klimatischen Gegebenheiten, die uns heute eher gefährlich werden könnten. Wir haben uns gewundert, dass unsere Eichen nach und nach abstarben, sie nie über eine gewisse Höhe hinwegkamen. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Pilzkrankheit handelte, die schon in der Baumschule die Pflanzen befallen hatte. Bis wir das rauskriegten haben wir lange gebraucht. 50-60 Hektar Eiche sind uns damals kaputtgegangen.


35 Jahre später ist klar, dass der Wald mit mehr als „nur“ Pilzbefall zu kämpfen hat. Wie sehen Sie die derzeitige Situation des deutschen Waldes im Hinblick auf den Klimawandel?

Ich mache mir große Sorgen um den Wald. Die Buche zum Beispiel leidet massiv. Es gibt Bundesländer, da mussten hunderttausende Festmeter Schadholz geschlagen werden. Die Fichte ist weniger im Nordosten als eher in den höheren Lagen, zum Beispiel in weiten Teilen Bayerns zu Hause – doch ich gehe davon aus, dass wir sie in ein paar Jahrzehnten fast verloren haben. Weil sie mit der Erwärmung und diesem ständigen Druck – Trockenstress, Käfer – nicht klarkommt. Von den Versuchsanstalten in Göttingen gibt es Simulationsmodelle die nachvollziehen, welche Baumarten es in absehbarer Zeit wo nicht mehr geben wird. Da reicht es schon, wenn man sich die Situation im Harz anschaut, wo Fichten ebenfalls heimisch sind...


"Papa, der Wald ist schrecklich"

Meine Heimat!

Ja, sehen Sie, dann kenne Sie das ja vielleicht: Es ist erschreckend, wie es da aussieht. Mit meinem damals 4-Jährigen Sohn, es war 1999, war ich im Bayrischen Wald unterwegs. Als wir in die etwas höheren Lagen kamen wurde er irgendwann ganz still, und sagte: „Papa, der Wald ist schrecklich, den mag ich nicht leiden.“ Mit vier Jahren! Über hunderte Meter sind wir durch toten Wald gelaufen – abgestorben durch Borkenkäfer und Nichtstun.

Wir müssen einfach erkennen, dass wir nahezu keine heimische Baumart mehr haben, die mit diesem Klima problemlos klarkommt. Waldbesitzer und Förster stellt das vor große Herausforderungen: Wir müssen irgendetwas tun, müssen mit neuen Baumarten den Entwicklungen entgegenwirken. Allein auf die eigene Anpassungsfähigkeit unserer heimischen Baumarten zu setzen halte ich für zu wenig. Da überlegt man sich: Was möchten wir den nächsten Generationen für einen Wald übergeben?


Diese Frage begleitet uns natürlich ständig. Wie genau wird die Aufforstung auf den Flächen von NfG vonstattengehen?

Uns stehen 450 Hektar Ackerfläche zur Verfügung: Diese werden voraussichtlich im Zeitraum von 4 Jahren bepflanzt. Im Herbst fangen wir mit 50 Hektar an, weitere 100 Hektar folgen im nächsten Jahr. Die landwirtschaftliche Nutzung findet also solange statt, bis die Flächen Stück für Stück aufgeforstet werden. Wenn wir entscheiden, dass eine Fläche im nächsten Jahr aufgeforstet werden sollen, heißt das: Der Mais muss im Herbst zum letzten Mal geerntet werden, dann werden die Flächen vorbereitet. Nach der Maisernte werden die Flächen gegrubbert und eventuell auch gepflügt. Auf die Aussaat des Klees folgt die Pflanzung der Setzlinge, im Frühjahr wird dann das Sudangras gesät. Das sorgt für Wind- und Sonnenschutz.

Die Abnahme der hoffentlich erfolgreichen Kultur erfolgt nach 5 Jahren. Man geht davon aus, dass von den gepflanzten Bäumen circa 75% noch stehen.


Wie muss man sich den jungen Wald dann vorstellen: Wie viele Bäume stehen auf einem Hektar, wie groß sind sie?

Der Abstand zwischen den Bäumen variiert je nach Baumart: Die Kiefer braucht einen relativ dichten Verband, da sind wir mit über 6000 Pflanzen pro Hektar am Start, bei Eiche rund 5000 Pflanzen pro Hektar. Bei Spitzahorn und Vogelkirsche, das sind Baumarten, die von Natur aus mit weniger auskommen, pflanzen wir 2500 pro Hektar.

Die Bäume haben nach 5 Jahren je nach Art unterschiedliche Wuchshöhen: Die Erle zum Beispiel wird 2-2,5 Meter groß sein, die Eiche circa 1,2 Meter und die Kiefer 80-90 Zentimeter.


Dem Klima trotzen: "Guter Landregen" aus dem Wassertank

Zu wenig Niederschlag zur falschen Zeit, zu hohe Temperaturen: Wie wollen sie die jungen Baumsetzlinge auf unseren Flächen vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen?

Im ersten Jahr ist die Witterung besonders entscheidend: Kommen wir beim Treiben der Pflanzen in eine extreme Trockenphase, werden wir Schiffbruch erleiden, wenn wir dem nichts entgegensetzen können. Das haben wir 2018 vielfach erlebt. Da sind uns reihenweise Kulturen nahezu vollständig vertrocknet. Um dem möglicherweise geringen Niederschlag etwas entgegenzusetzen hatten wir die Idee, die Flächen zu bewässern. Wir überlegen, mit „angepassten Wasserfahrzeugen“, sprich umgebauten Güllefahrzeugen, zu bewässern. Deswegen ist es wichtig, schon jetzt in unseren Kulturen die entsprechenden Fahrgassen anzulegen, damit unser Schlepper dann dort mit dem Wassertank fahren kann. Das Wasser wird aus den Lagunen kommen, die wir extra dafür anlegen. Das hat den Vorteil, dass wir kein eiskaltes Grundwasser haben, bei dem die Pflanzen einen Schock kriegen würden. Drei Mal im Jahr wollen wir einen „guten Landregen“ von 25-30 Milliliter rausbringen.

Um der Hitze entgegenzuwirken ist es wichtig, für die jungen Bäume einen „Schirm“ zu schaffen. Was bei einer Wiederaufforstung die Altbäume übernehmen, kann bei den Kulturen unseres Waldverbands bis zu einem gewissen Grad die Erle schaffen. Diese wächst relativ rasch, schon bei der Pflanzung ist sie circa 1,20 Meter hoch, während die Setzlinge circa einen halben Meter messen. In jeder vierten Reihe wird jede vierte Pflanze eine Erle sein, um den Vorwald zu bilden. Außerdem kann sie Stickstoff im Boden einspeichern und hat eine humuszersetzende Streu, weshalb sie gut für die Bodenqualität ist.


"Ich mache mir große Sorgen um den Wald" – von Beginn an setzte sich Hans-Jürgen Sturies dafür ein, auf Testflächen von NfG auch Alternativbaumarten und damit der Forschung Raum zu geben.


Welche Herausforderungen kommen noch auf die Kultur zu?

Wenn wir das erste Jahr überstanden haben, sind im nächsten Frühjahr Frost und Mäuse Risikofaktoren. Auch das Wild ist an den jungen Pflanzen natürlich interessiert – doch wir werden voraussichtlich alle Flächen einzäunen. Zehn bis zwölf Jahre müssen diese Zäune stehen, und das in ausreichender Höhe: Rotwild kann locker über 1,5 oder 1,8 Meter hohe Hindernisse springen. Zudem müssen die Zäune immer dicht gehalten werden gegen die Wildschweine, die sich sonst leicht durch den Zaun durchgraben können. Möglicherweise werden auch Sauenklappen eingebaut.


Eine Art Katzenklappe für Wildschweine?

Ganz genau.

"Wir müssen die Chance ergreifen"

Sie haben schon einmal auf 600 Hektar Wald aufgeforstet und wirken seit Jahrzehnten an Aufforstungsprojekten mit. Was finden sie an dem aktuellen Projekt faszinierend?

Auch hier natürlich die Größe! Als Förster habe ich selten die Gelegenheit, auf einen Schlag 450 Hektar Wald aufzuforsten. Wenn man sich das überlegt: Früher war das in etwa die Größe eines Dienstbezirks für einen Förster – und das können wir jetzt „mal eben“ neugestalten. Außerdem gefällt mir als Förster Wald besser als Mais, da bin ich ganz ehrlich (lacht). Ich finde es spannend zu überlegen: Was mache ich? Welche Baumarten bringe ich? Man könnte es sich ganz einfach machen und ein paar Eichen pflanzen, ein paar Kiefern – das war’s, nach mir die Sintflut. Doch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um klimaresistente Baumarten war klar: Wir müssen die Chance ergreifen und diese riesigen Flächen nutzen, um einen „Klimawald“ zu schaffen.


Herr Sturies, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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